Vorbemerkung:
Zu den kognitiven Fähigkeiten der sog. Großpapageien
-zu denen auch das "Sprechen" (Nachahmen von Lauten, Worten
oder ganzer Sätze) gehört- gibt es in der ohnehin schon
spärlichen Quell-Literatur die unterschiedlichsten Mutmaßungen,
Feststellungen und Aussagen. Während Lantermann -Lantermann,
W. (1987): Die Blautirnamazone, Walsrode- "Lautäußerungen,
derer die Blaustirnamazone fähig ist, (...) stets als sinnloses,
spötterhaftes Nachahmen häufig gehörter Laute, allenfalls
aufgrund immer wiederkehrender Ereignisse in situativer Verknüpfung
(...)" beschreibt, berichtet Schmidt -Schmidt, H. (1978): Sprechende
und nachahmende Vögel, Minden- von durchaus zielorientiertem
"Sprechen". Ähnliche Aussagen trifft, wenn auch auf
den Graupapagei bezogen Strassen -Strassen, O. zur (1953): Zweckdienliches
Sprechen beim Graupapgei, Verb. Dt. Zoolog. Ges. 84-89, Freiburg-.
Generalisierend schreibt de Grahl -Grahl, W. de (1990): Papageien,
Stuttgart- "Der Papagei gibt Gehörtes wieder oder verbindet
bestimmte Situationen mit Worten oder anderen Geräuschen".
Die unterschiedlichen Qualifizierungen der kognitiven Fähigkeiten
von Papageien (hier: Amazona aestiva) die wohl auch innerhalb der
Art (Unterart) individuell variieren, haben mich veranlasst, über
meine diesbezüglichen Beobachtungen zu berichten.
Auffallend ist, dass in der uns verfügbaren "Papageien-Literatur"
nur selten (zuweilen überhaupt nicht) auf grundlegende Veröffentlichungen
zur Biologie, Ethologie und Psychologie zurückgegriffen wird
und viele Publikationen zu (Teil-)Bereichen des "Papageien-Verhaltens"
die allgemeinen Erkenntnisse der Grundlagenforschung unberücksichtigt
lassen.
Ohne sorgfältige Auswertung aller an der Thematik beteiligten
sektoralen Aspekte (u.a. Auslösemechanismus, Konditionierung,
Schlüsselreiz, adaptive Modifikationen etc.) ist keine sich
den Gegebenheiten wirklich annähernde Einschätzung der
"Sprechleistung" zu treffen.
Daher habe ich meine Methodik darauf konzentriert, die Objektbeobachtungen
in den Kontext der allgemein anerkannten Grundlagenliteratur einzuordnen
und auszuwerten. Auch diese Methodik garantiert nicht per se, dass
subjektive ("vermenschlichende") Einschätzungen gänzlich
auszuschließen sind, bietet jedoch die geeignetste Plattform,
diese auf ein Minimum zu reduzieren.
Daten zum "Beobachtungsobjekt"
Bei dem "Beobachtungsobjekt" handelt es sich um eine
Blaustirnamazone (Amazona aestiva) mit einem Alter von ca. 18 Jahren.
Die Amazone wurde von Hand aufgezogen und dementsprechend "fehlgeprägt",
d.h. eine Sozialisierung im Artverband fand -wenn überhaupt-
nur sehr marginal statt. Bis vor eineinhalb Jahren wurde die Amazone
vom Vorbesitzer als Einzelvogel gehalten.. Sie ist jetzt mit einer
weiteren Amazone in einer Zimmervoliere mit täglichem Freiflug
vergesellschaftet. Eine Geschlechtsbestimmung (Endoskopie oder DNA-Analyse)
erfolgte bisher nicht.. Es sprechen einige Indizien (u.a. Kopfform
/Anmerkung: kein zweifelsfreies Bestimmungsmerkmal) dafür,
dass es sich um ein weibliches Exemplar handeln könnte. Das
Geschlecht dürfte jedoch hinsichtlich der Thematik keine Rolle
spielen, da nichts auf geschlechtsspezifische Unterschiede im Zusammenhang
mit den kognitiven Fähigkeiten hindeutet.
Grundvoraussetzungen des "Sprechens" bei Amazonen
Erste Voraussetzung
Die physische Möglichkeit zur Modulation von Lauten der menschlichen
Sprache. Diese Möglichkeit ist nachweislich gegeben und bedarf
keiner näheren Erörterung.
Zweite Voraussetzung:
Kontakt mit menschlicher Sprache.(ob real oder auf Tonträger)
und die Fähigkeit der Aufnahme und Wiedergabe des Gehörten.
Die Aufnahme und Wiedergabe des Gehörten setzt -soll das Gehörte
direkt oder zu einem Zeitpunkt "X" repetiert werden- eine
Speicherung voraus. Dies bedingt notwendigerweise das Vorhandensein
eines Speichermediums. Als Beispiel für eine mechanische Speicherung
(ohne "Einsichts- oder Erkenntnismöglichkeit") kann
das Besprechen eines Tonbandes mit einem beliebigen Wort dienen.
Das Wort ist auf Band gespeichert und kann durch Knopfdruck abgerufen
werden. Die Leistung einer Amazone ein Wort zu speichern und zielgerichtet
abzurufen bedingt das Vorhandensein eines sog. "Offenen Programms".
Konrad Lorenz definiert das Offene Programm als "ein(en) kognitiven
Mechanismus, der imstande ist, nicht im Genom enthaltene Informationen
(...) nicht nur zu erwerben, sondern auch zu speichern". Die
Amazone ist nachweislich in der Lage, nicht im Erbgut verankerte
Informationen (wie beispielsweise Sequenzen menschlicher Sprache)
zu speichern und unmittelbar oder zu einem späteren Zeitpunkt
wieder abzurufen.
Warum "spricht" die Amazone?
Die Amazone ist also in der Lage, Wörter aufzunehmen, zu speichern
und wiederzugeben. Schon dies ist eine bemerkenswerte kognitive
Leistung. Aber warum ahmt der Vogel menschliche Wörter oder
Sätze nach?
Spielerisches - nicht zielfixiertes- "Sprechen":
Bei einer seit mehr als zwanzig Jahren von uns gehaltenen
Blaustirnamazone, bei der wir definitiv eine bewusste Konditionierung
im Sinne des "Beibringens" von Wörtern oder Sätzen
ausschließen können, kam es dennoch auch ohne unser Zutun
zum Nachahmen häufig gehörter Worte bzw. Wortkombinationen,
die meist (jedoch nicht ausschließlich) von der Amazone unmittelbar
"nachgesprochen" werden. Beispiel: "Komm mal her!"
Es handelt sich hierbei erkennbar weder um ein sogenanntes "Lernen
durch Erfolg" (conditioning by reinforcement), noch eine arterhaltend
sinnvolle Modifikation des Verhaltens. Das "Nachsprechen"
hat in diesem Fall keinerlei reaktive Entsprechung durch beispielsweise
eine Belohnung (Futtergabe o.ä) und läuft in`s Leere.
Auch ist in vorgeschildertem Fall das Nachahmen mit keiner bestimmten
Situation verknüpft, die als Auslöser angesehen werden
könnte. Initial ist einzig der Gebrauch dieser Wortkombination.
Eine Erklärung für scheinbar -oder tatsächlich(?)-
sinnloses, nicht situatives "Nachsprechen" könnte
darin zu sehen sein, dass "Singvögel und Papageien (...)
in gewissen Altersstufen eine deutliche Appetenz nach prägnanten,
im Bereiche ihrer Nachahmungsfähigkeit liegenden Lautgestalten
(haben)" -Lorenz, K. (1977): Die Rückseite des Spiegels,
München-. Offen bleibt allerdings die Frage, woher diese Appetenz
rührt. Eine mir logisch erscheinende Erklärung ist, dass
es sich bei erwähntem "sinnlosem Nachsprechen" um
ein rein exploratives Austesten vorhandener Fähigkeiten im
Sinne des Neugierverhaltens handeln könnte. Das "Neugierverhalten"
manifestiert sich darin, das Appetenzverhalten so zu generalisieren,
dass nicht die Auslösesituation einer ganz bestimmten triebbefriedigenden
Endhandlung sein Ziel ist, sondern die Lernsituation als solche.
Mit anderen Worten: Lernen als Selbstzweck. Die Amazone testet sozusagen
ihre vorhandenen Möglichkeiten zur Nachahmung (Nachbildung
menschlicher Laute) "spielerisch" aus, ohne auf eine Endhandlung
(wie beispielsweise: Paarung, Nahrungsaufnahme etc.) fixiert zu
sein.
Zielorientiertes "Sprechen":
Völlig anders verhält es sich mit der Nachahmung
von Worten oder Sätzen, wenn damit verifizierbar das Erreichen(wollen)
eines bestimmten Zieles verbunden ist. Das Beobachtungsobjekt (vgl.
Daten zum Beobachtungsobjekt) wurde vom Vorbesitzer durch ständiges
"Vorsprechen" des Wortes "Leckerli" (Leckerbissen)
in Verbindung mit dem Anbieten eines besonderen Leckerbissens zum
"Nachsprechen" des betreffenden Wortes mit anschließender
Erfolgsgewährung (=Verabreichung des Leckerbissens) animiert
bzw.
konditioniert Der Erfolg wirkt als das, was man im allgemeinen "Belohnung"
nennt. Die englische Literatur bezeichnet alles, was in dieser Art
zur Verstärkung oder zur "Andressur" führt, als
"Reinforcement".
Die betreffende Amazone ist also ,da sie die vorgeschilderten Verhaltensweisen
- in sogar noch komplexeren Variationen - in unserer Obhut wiederholt,
in der Lage "zu Protokoll zu nehmen" oder zu "erinnern",
welche Form der Ablauf der einleitenden Handlungsglieder genommen
hat, und diese Erinnerung mit dem rückgemeldeten Erfolg in
Beziehung zu setzen. Der rückmeldende rezeptorische Apparat
muss ähnliche Leistungen vollbringen, wie ein angeborener Auslösemechanismus.
Es handelt sich also keineswegs um einen einfachen "Reflex"
im Sinne der Pawlow`schen Terminologie.
Die Amazone "benutzt" das ihr im Zusammenhang mit Leckerbissen
"erinnerliche" Wort "Leckerli" eigenständig
(d.h. ohne entsprechende "Vorsprache") und aktiv mit dem
Endziel des Erhaltens eines Leckerbissens (siehe nachstehende Darstellung)
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