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Ottokar - Lebensgeschichte eines Nymphensittichs
von Christiane Ehrlich
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Ich war 8 Jahre alt, als Ottokar uns zugeflog. Er war einfach plötzlich
da.
Das ist jetzt 22 Jahre her. Inzwischen nutzte sich sein Ring so
ab, dass man einen Teil der Zahlen nicht mehr lesen kann. Nur das
Geburtsjahr 79 ist noch zu erkennen.
Meine Eltern hatten mit Hilfe der Polizei, des Fundamtes, des Tierheims
und einer Anzeige in der Zeitung versucht, den ursprünglichen
Besitzer ausfindig zu machen, aber niemand hatte sich gemeldet.
Dafür bin ich dankbar, finde es jedoch heute noch sehr seltsam,
da er doch ganz offensichtlich ein innig geliebtes Tier war. Ottokar
war nicht nur ein handzahmer, lieber Vogel, sondern konnte sprechen
und bestimmte Melodien pfeifen.
Es blieb sein Geheimnis, wer ihm das alles beigebracht hatte -
ein Geheimnis, das Ottokar mit ins Grab genommen hat. Genauso konnte
ich nie erfahren, was er eigentlich sprach. Er hatte es nicht sehr
oft gesagt, es klang wie "o-u-a". Daraus machten wir ein
wenig hilflos "Ottokar". Vielleicht hieß es auch
"He, Du da"?
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Ich hatte nie die Geduld, ihm weitere Worte beizubringen. Ich fand
es bedeutend einfacher, seine Sprache zu lernen, denn er war ein
viel geduldigerer Lehrer als ich. Irgendwann hörte er auf zu
sprechen.
Die Melodien, die er pfiff, erkannte ich nie. Irgendwann sang er
diese nicht mehr, aber vergessen hatte er sie nie, wie ich viele
Jahre später erkennen musste.
Leider war er bereits ein Federrupfer, als er zu uns kam. Zwar nur
ein wenig an den Schultern, doch als er damit nicht aufhörte,
gingen wir zum Tierarzt. Unserem ersten Tierarztbesuch und der ersten
Vitaminspritze folgten in den nächsten 20 Jahren noch viele,
viele weitere. Nichts hatte geholfen. Jedes Mal, wenn ich umzog, suchte
ich den ortsansässigen Tierarzt auf, weil ich hoffte, dass ein
neuer Tierarzt neue Ideen hätte und dass dieser Tierarzt vielleicht
gerade von DEM Mittel gegen Federrupfen gehört hätte. Ich
fand nie einen solchen Arzt. Dafür lernte ich viele Ärzte
mit ganz unterschiedlichen Qualitäten kennen. Einmal durfte ich
nur für den Satz: "Da kann man nix machen!" 25 DM Beratungshonorar
bezahlen.
Immerhin war bereits der erste Arzt der Meinung, dass es besser
für Ottokar sei, Gesellschaft zu haben. Meine Mutter erlaubte
leider nur einen Wellensittich. Heute ist mir klar, warum Pucki
an Ottokars Verhalten nichts ändern konnte. Der Wellensittich
hatte ihn nicht interessiert. Stattdessen entdeckte er seine Liebe
zu einem grau-gelben Taschentuch und in den folgenden Jahren war
das Leben sehr einfach mit ihm: Dort, wo das Tuch war, war auch
er! Man musste nur das Tuch in die Hand nehmen und schon saß
Ottokar auf dem Arm. Und mindestens einmal am Tag wurde das Tuch
begattet.
Heute finde ich diese Geschichte sehr traurig. Damals war das alles
witzig. Schwierig wurde es nur, wenn meine Mutter darauf bestand,
das Tuch zu waschen. Dann schrie Ottokar so lange, bis er es - meist
noch nass - wieder bekam.
Durch dieses Tuch führte Ottokar ein sehr gefährliches
Leben. Er zog das Tuch überall herum, bis es auf den Boden
fiel. Er flog sofort hinterher und lief dann den Rest des Tages
auf dem Boden umher. So kam es, dass ich zweimal versehentlich auf
seinen Schwanz trat. Nymphensittiche sehen sehr komisch aus, wenn
sie keinen Schwanz mehr haben. Aber sie können trotzdem erstaunlich
gut fliegen. Der Schwanz wuchs beide Male innerhalb kürzester
Zeit nach. Und Ottokar war eine viel zu gute Seele, als dass er
es mir übel genommen hätte.
In den Jahren, die Ottokar mit mir alleine leben musste - abgesehen
von Pucki - wurden wir die besten Freunde. Er konnte - typisch für
ein Tier, das in einer Gruppe lebt - meine Stimmungen sehr gut abschätzen
und wenn ich entspannt und ruhig oder traurig und deprimiert war,
kam er gerne zu mir und ganz, ganz selten kuschelte er sogar mit
mir.
Einige Jahre später bekam ich einen 10jährigen Nymphensittich
und zwei Wellensittiche geschenkt. Chico und Ottokar brauchten mehrere
Jahre bis sie ein Paar wurden, doch schließlich waren sie
unzertrennlich und Ottokar war tuchentwöhnt.
Chico war das beste, was Ottokar passieren konnte. Die beiden hatten
noch 14 gemeinsame Jahre, in denen der eine nie ohne den anderen
sein konnte, obwohl beides Hähne waren. Sie kuschelten miteinander
und machten alles gemeinsam.
Eines Abends, vor 5 Jahren, starb Chico plötzlich im Alter
von 24 Jahren. Ottokar konnte es offensichtlich nicht verstehen
und als ich den toten Vogel aus dem Zimmer bringen wollte, schrie
er jämmerlich. Also ließ ich ihm seinen Partner noch
über Nacht, in der Hoffnung, dass Ottokar am nächsten
Morgen dann verstanden hätte, was passiert war. Ich legte Chico
auf den Tisch neben dem Käfig. Ottokar verbrachte die ganze
Nacht direkt neben ihm, statt auf der Stange wie sonst.
Am nächsten Morgen passierte etwas Unglaubliches: Ottokar
begann zu singen! Nicht, dass er sonst nicht gesungen hätte.
Aber das hier war anders: Man spürte, dass es ihm wichtig war,
all seine Kraft in die Melodien zu legen. Schließlich sang
er nicht nur seine typischen Nymphenmelodien, sondern auch die Melodien,
die er vor fast 20 Jahren gelernt hatte und die ich seit 17 Jahren
nicht mehr von ihm gehört hatte. Ottokar gab alles. Noch dieses
eine Mal durfte ich all die Melodien hören. Es war das letzte
Mal, dass er so sang. Und es ist der Beweis für ein Erinnerungsvermögen,
das man einem so kleinen Vogel nie zugetraut hätte.
Er sang mehrere Stunden und ich war ständig am Weinen, weil
es weh tat, ihn so leiden zu sehen.
Erst gegen Abend brachte ich es übers Herz, den toten Vogel
wegzunehmen und zu beerdigen.
Ottokar trauerte die nächsten Tage sehr und schrie erbärmlich.
Nach drei Tagen war ich mit den Nerven am Ende und kaufte den nächstbesten
Nymphensittich, den ich fand. Dieses Mal wollte ich ein Weibchen
für Ottokar und fand einen wunderschönen wildfarbenen
Vogel: Gwennie. Nach einigen Monaten musste ich erkennen, dass Gwennie
ein Hahn war. (Ich sage immer "sie", obwohl sie ein "Er"
ist!) Vielleicht war das besser so, denn Ottokar hatte in seinem
Leben mehrere Nymphensittiche kennen gelernt, aber Weibchen haben
ihn nie interessiert. Es dauerte nur einen Tag, bis Ottokar mit
der Schreierei aufhörte, und nach wenigen Wochen waren die
beiden ein festes Paar.
Sie wurden unzertrennlich. So folgte Gwennie Ottokar überall
hin. Gwennie, dieser große und überaus kräftige
und gleichzeitig schüchterne Vogel war gezwungen, regelmäßig
auf meiner Schulter zu landen, nur weil sie bei Ottokar sein wollte.
Sie ist heute noch sehr zurückhaltend, doch durch Ottokar lernte
sie, dass ich fast harmlos bin.
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Nach 3 Jahren wurde Ottokar langsam krank. Er war immer mager gewesen,
doch er nahm weiter ab und wurde kraftloser. Es fiel ihm schwerer,
sich gegen die Wellensittiche und anderen Nymphensittiche durchzusetzen.
Gottseidank war Gwennie jetzt da: Sie verteidigte ihn gegen alles
und jeden. Sie ließ ihn nie alleine und kümmerte sich sehr
aufmerksam um ihn.
Ottokar war 16 oder 17 Jahre alt, als er - abgesehen vom Federrupfen
- zum ersten Mal krank wurde. An seinem Bein wuchs eine Wucherung,
eine ca. 1,5 cm große Kugel, die nur an einem einzigen Hautfetzen
hing. Er biss sie sich regelmäßig auf, sodass es heftig
blutete. Ich brachte ihn in eine Tierklinik. Dort wurde die Wucherung
mit Lokalanästhesie entfernt. Und Ottokar war wieder zufrieden.
Vor zwei Jahren rupfte er sich mehr als all die Jahre zuvor. Außerdem
biss er sich die Schultern immer öfter blutig. Der Tierarzt
versuchte viel, z.B. ein Spray mit Bitterstoffen sollte ihn daran
hindern, aber es stank nur und half überhaupt nicht. Die Federn
wuchsen schließlich nur noch verkümmert und da gab der
Tierarzt endlich zu, dass er nicht mehr weiter wüsste und verwies
mich an das Gießener Institut für Geflügelkrankheiten
der Universität.
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In den 20 Jahren davor war ich bei vielen Tierärzten gewesen.
Aber in Gießen habe ich zum ersten Mal das Gefühl gehabt,
dass es Ärzte gibt, denen der Unterschied zwischen einem Frosch
und einem Sittich schon mal aufgefallen ist. So war sehr schnell
klar, dass Ottokar einfach nur einen Hautpilz (Mucor) hatte, der
mit Imaverol-Duschen bekämpft werden konnte.
Ottokar war wasserscheu und vertrug die täglichen Duschen
nur sehr schlecht. Doch die zwei Wochen waren bald vorbei und nach
einer Nachuntersuchung wurde Ottokar als geheilt entlassen. Damit
die Federn besser wachsen würden, bekam er täglich Biotin
ins Wasser. Doch in diesem Alter wachsen Federn nur sehr langsam.
Im April des darauffolgenden Jahres biss sich Ottokar wieder die
Schultern blutig. Die Wunden heilten gar nicht mehr richtig und
irgendwann musste ich eine Wucherung unter seinem Flügel feststellen.
Es war klar, dass dies operiert werden müsste, doch Ottokar
war inzwischen alt und nicht mehr der kräftigste. Er hatte
durch den Mucor viele Federn verloren und konnte nicht mehr fliegen.
Ich wollte ihm die Operation ersparen und setzte ihm ein Ultimatum:
Entweder würde er innerhalb einer Woche einfach tot von der
Stange fallen oder ich würde mit ihm wieder in die Klinik fahren.
Nach dieser Frist war Otto noch sehr lebendig, als ob er mir sagen
wollte, dass er nicht bereit sei, jetzt aufzugeben. Also fuhr ich
- wie versprochen - mit ihm in die Klinik. Als ich den Tierarzt
nach seinen Chancen fragte, antwortete er nur: "Ich sehe das
nicht optimistisch, sondern realistisch!"
Im Nachhinein denke ich, dass er es sogar pessimistisch gesehen
hatte. Er schickte mich gleich wieder nach Hause und sagte, dass
Ottokar 5 Tage in der Klinik bleiben müsse. Auf dem Weg nach
Hause war ich sicher, dass ich Ottokar nicht wiedersehen würde.
Einige Stunden später rief ich in der Klinik an, um zu fragen,
wie die Operation verlaufen sei. Der Tierarzt klang selbst überrascht
und auf einmal optimistisch. Ottokar hätte alles gut überstanden
und sei sehr tapfer gewesen.
Als ich 5 Tage später wieder vor der Klinik stand, um Ottokar
abzuholen, war ich sicher, dass ich einen Vogel sehen würde,
der mehr tot als lebendig war. Er hatte eine - für mein Verständnis
- schwierige Operation hinter sich. Als ich Ottokar endlich sah,
wäre ich dem Tierarzt fast um den Hals gefallen. Ottokar ging
es blendend, das konnte man deutlich sehen. Die 5 Tage Klinikaufenthalt
hatten ihm sehr gut getan und in den darauffolgenden Wochen verhielt
er sich, als ob er 10 Jahre jünger wäre.
Um so schlimmer war dann der histologische Befund des Tumors. Es
handelte sich um ein Plattenepithelkarzinom, also eine leicht streuende
Krebsart. Bei Hunden und Katzen spricht man von einer Lebenserwartung
von wenigen Wochen, bei Papageien gibt es kaum Erfahrungswerte.
Als ich das erfuhr, waren schon 10 Tage vergangen und Ottokar war
quietschfidel und machte nicht den Eindruck, als ob er so schnell
sterben würde.
Bereits nach 4 Wochen hatte er aber einen neuen Tumor an der gleichen
Stelle. Da Ottokar die erste Operation so gut überstanden hatte
und auch der zweite gut lief, durfte ich ihn diesmal direkt mit
nach Hause nehmen.
Weitere 4 Wochen später hatte er einen Tumor unter dem anderen
Flügel. Auf diese Operation folgten noch 2 oder 3 weitere.
Er hatte jedes Mal bewiesen, dass noch viel Kraft und Lebenswillen
in ihm steckte.
Bei der ersten Tumoroperation war wieder der Hautpilz festgestellt
worden. Es wurde wieder mit Imaverol behandelt. Doch Ottokar vertrug
die Duschen immer schlechter. Als im Herbst zum dritten Mal der
Mucor diagnostiziert wurde, wehrte ich mich gegen das Imaverol.
So bekam ich eine Salbe, Pima-Biceron, die ebenso gut wirkte und
die Haut außerdem pflegte.
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Im Sommer bekam Ottokar Durchfall, der auf Nierenprobleme hindeutete.
Alle üblichen Mittel (Tyrode-Lösung) halfen nicht und sowohl
der Tierarzt wie auch ich vermuteten einen Tumor an der Niere. Das
Röntgenbild zeigte nur eine vergrößerte Leber. Ottokar
bekam dann täglich Heparsyx für seine Leber und Cantharis
compositum für die Niere. Vorübergehend half beides sehr
gut.
Die Behandlung mit der Tyrode-Lösung war etwas schwierig.
Ottokar mochte sie nicht, er trank lieber gar nicht, als dieses
Zeug zu nehmen. Dabei hatte er inzwischen immer sehr viel Durst
und trank am Tag bis zu 10ml. Ich versuchte es mit Nierentee. Ottokar
trank ihn zwar, aber ich glaube, er half nicht viel.
Weihnachten musste ich einen neuen Tumor unter dem rechten Flügel
erkennen. Die Niere wollte gar nicht mehr arbeiten. Ottokar saß
inzwischen fast den ganzen Tag unter Rotlicht, um den Stoffwechsel
anzuregen. Doch die Wärme begünstigte das Wachstum des
Hautpilzes, der mit keiner Salben mehr unter Kontrolle zu bekommen
war. Trotzdem konnte ich nicht aufgeben, denn Ottokar war bei all
dem nicht apathisch geworden, sondern nahm sehr rege Anteil an allem,
was um ihn herum passierte. Wenn die anderen Vögel Freiflug
hatten, rief Ottokar nach mir und wollte zu den anderen gesetzt
werden.
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Ich hatte im Laufe des letzten Jahres alle Schränke und Regale
durch Äste verbunden, sodass mein flugbehinderter Invalide
trotzdem den anderen folgen konnte. Gwennie wich dabei nie von seiner
Seite.
In dieser ganzen Zeit hoffte ich inständig auf ein Zeichen,
ein Ereignis, das mir zeigen würde, dass es der richtige Moment
wäre, all dem ein Ende zu setzen.
Mitte Januar fiel Ottokar im Käfig von der Stange. Nichts
Dramatisches, er war wohl nur abgerutscht oder so. Dass trotzdem
irgendwas nicht stimmte, merkte ich erst nach einigen Minuten, weil
ich ihn strampeln hörte. Seine Kralle hatte sich irgendwie
in den Federn des Flügels verhakt. Für einen gesunden
Vogel wäre es gar kein Problem gewesen, doch Ottokar lag hilflos
auf dem Bauch und kam nicht auf die Beine. Ich half ihm und alles
war in Ordnung.
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Mir gab das zu denken: Was wäre geschehen, wenn ich nicht
zu Hause gewesen wäre? Dann hätte er vielleicht stundenlang
dort liegen und strampeln müssen. Da wusste ich, was ich zu
tun hatte. Dieses kleine Runterfallen war nicht der Donnerschlag
gewesen, auf den ich gehofft hatte, aber es war klar, dass ich handeln
musste.
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Am 22. Januar 2003 ließ ich Ottokar einschläfern.
Ich bin davon überzeugt, dass er bis zu diesem Tag keine großen
Schmerzen hatte. Trotzdem - oder gerade deshalb - bin ich sicher,
den richtigen Zeitpunkt gewählt zu haben. Eine wirkliche Besserung
war nicht mehr zu erwarten, trotz aller Medikamente.
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Die Fotos des letzten Jahres zeigen, dass es letztendlich
nur bergab mit ihm ging. Sein Stoffwechsel funktionierte fast
gar nicht mehr.
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Und so hoffe ich, dass ich ihm einiges erspart habe. Denn das war
ich ihm schuldig.
Ottokar hatte viel mit mir durchgemacht: Ich war ihm auf den Schwanz
getreten, hatte die Krallen falsch geschnitten, ihm die Zehe eingeklemmt,
ihn bestimmt tausende Male gestoßen oder irgendwie versehentlich
weh getan. Im letzten Jahr hatte ich ihm mehrmals am Tag mehr oder
minder gut schmeckende Medikamente eingegeben, hatte ihn bei Spritzen
und Untersuchungen festgehalten. Trotzdem biss er mich nur selten
und das nie bösartig. Bis zu seinem letzten Tag kuschelte er
mit mir - das hatte er nur selten getan und es war immer ein Privileg
für mich - und hatte mir nichts von all dem dauerhaft übel
genommen. Sein Vertrauen in mich war unerschütterlich. Er war
ein sehr zärtlicher, ruhiger, gelassener, einfühlsamer
Vogel, den ich sicherlich nie vergessen werde. Früher war ich
froh, dass er keine Nachkommen hatte, weil die Anlage zum Federrupfen
erblich sein soll.
Heute finde ich es sehr schade, denn Ottokar war ein einmaliger
Vogel. Und es ist schade, dass er seine ganzen positiven Eigenschaften
nicht weitervererben konnte. Ich merke erst jetzt, wie sehr seine
Geduld, sein Gleichmut und seine Gelassenheit die anderen Vögel,
besonders Gwennie, beeinflussten.
Er war einfach das beste, was ein Vogel sein kann.
Gwennie nahm Ottokars Tod anders auf, als ich es erwartet hatte.
Ich hatte Ottokar wieder in den Käfig gelegt. Gwennie kletterte
sofort zu ihm, stupste ihn mehrmals an und zog an seinen Federn.
Nach einigen Minuten kletterte sie verstört auf eine Stange
und sah immer wieder zu ihm hinunter. Eine Stunde später beerdigte
ich Ottokar.
Gwennie war in den nächsten Tagen sehr verstört und schrie
immer wieder. Sie beruhigte sich jedoch bald wieder. Ich hatte gehofft,
sie würde sich mit einem einsamen Weibchen oder einem noch
nicht erwachsenen Küken verpaaren. Aber sie schloss sich einem
Pärchen an, kuschelt ziemlich oft mit dem Weibchen und die
drei sitzen immer zusammen. So viel zu meiner Familienplanung. Aber
die Hauptsache ist, dass sie glücklich ist.
Ich möchte diese Gelegenheit noch nutzen, mich bei einem wunderbaren
Tierarzt zu bedanken. Ich weiß, dass die meisten Vogelbesitzer
eher schlechte Erfahrungen mit dieser Zunft gemacht haben. Ich selbst
habe ja selbst jahrelang mehr hilflose als kompetente Ärzte
gesehen. Um so glücklicher bin ich, jetzt jemanden gefunden
zu haben, bei dem ich immer ein offenes Ohr für meine Probleme
und Problemchen fand und weiterhin finden werde.
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